ERKENNTNISFRAGEN

Das Thema Kommunikation betrifft jeden, Kommunikation findet auf jeder gesellschaftlichen Ebene statt. Ob im privaten Bereich, in der Politik, im Business, im Kulturbetrieb ebenso wie in der Forschung, in der Geschichtsschreibung und Mythenbildung oder schon ganz im Einzelnen selbst. Wir kommunizieren alltäglich, auf vielfache Weise und mit unterschiedlichem Erfolg.
Und ständig benutzen wir Worte, Begriffe und Redewendungen mit der größten Selbstverständlichkeit, meist aber ohne uns des Sinngehalts zu vergewissern. Dies betrifft gleichfalls die sprachliche und gedankliche Auseinandersetzung in Wissenschaft und Technik. »Hat das Forschen«, so fragt Montaigne, »um das sich der Mensch seit Jahrhunderten bemüht, ihm wirklich eine neue Kraft und eine Wahrheit eingebracht, auf die er sich verlassen kann?«. Es ist und bleibt auch hier eine Frage der Kommunikation.

Das Verhältnis von Sprache und Wahrnehmung, von Sprache und Gefühl, von Sprache und
Mitteilung, von Sprache und Verständnis, steht im Mittelpunkt meines künstlerischen Interesses. Dabei wird meine Faszination von der zivilisatorischen Leistung der Sprache, vor allem in Literatur, Poesie und Philosophie, noch übertroffen von meiner Skepsis gegenüber ihrer kommunikativen Qualität. Die Sprache des Menschen ist bei aller Differenziertheit doch immer sowohl gesellschaftlich wie subjektiv gefärbt und abstrakt, also niemals eindeutig.

Faszination und Skepsis gegenüber meinem Untersuchungsgegenstand kommen in der paradoxen Konstruktion zum Ausdruck, indem ich Worte und Texte in Blindenschrift übersetze und diese mit Malerei und Fotografie konfrontiere. Ich verstehe diese Arbeit als lyrische Reflexion, als visuell-dichterisches Labor und als einen Beitrag zur wahrnehmungskritischen visuellen Poesie.

Nach Richard von Weizsäcker ist »Fortschritt … in Sicht, wenn es uns gelingt, unseren Horizont Schritt für Schritt zu erweitern«. Im Forschungs- und Entwicklungszentrum der FRONIUS GmbH suchen Menschen in Wissenschaft und Technik nach neuen Möglichkeiten und Wegen, Dinge besser zu machen, als sie bisher waren. Fragestellungen und Herangehensweisen sind dabei ebenso eine Frage der Kommunikation, wie die Mitteilbarkeit und Umsetzung der Ergebnisse. Erkenntnisgewinn ist das Ziel dieser Unternehmung.

Ausgewählte Texte wurden in Form der Blindenschrift »Braille« erkenntnisfragen aus
semitransparentem Folienmaterial beidseitig auf die Innenflächen der doppelverglasten Systemtrennwände appliziert. Die Texte zitieren philosophische, literarische oder wissenschaftliche
Erkenntnisse, die von mir in Frageform transskribiert wurden. Durch die Transformierung einer Definition, einer Behauptung oder einer These in die Form einer Frage, öffnet sich die Kommunikation über den behaupteten Gegenstand, regt zur Diskussion an und kann so den jeweils eigenen Erkenntnisstand erweitern.

Die erste Zeile der Texte wird vom Flur aus, die zweite vom Büro aus, die dritte wieder vom Flur aus usw. gelesen. Dadurch wird quasi in einer spiralförmigen Lesebewegung Innen und Außen miteinander verbunden. Es entsteht ein Transfer von Geben und Nehmen, von Innehalten und Bewegung. Dem Betrachten des Bildes folgt ein Erkennen, dem Erkennen ein Reflektieren und dem Reflektieren ein davon losgelöstes Denken.

erkenntnisfragen
Tranparentfolie auf Glas
ca 1500 m2